Reflektoren am Schnepfenschwanz

Die Wunder der Natur offenbaren sich oft im Kleinen und erst auf den zweiten Blick. So auch bei der Waldschnepfe (Scolopax rusticola), einem scheuen, seltenen und bestens getarnten Bodenbrüter im feuchten Laub- und Mischwald. Am ehesten kann man den taubengroßen, dämmerungs- und nachtaktiven Schnepfenvogel in der Balzzeit jetzt im Mai und Juni entdecken. Am Boden verschmilzt das rindenartig braun gemusterte Gefieder derart mit dem Waldboden, dass man den Vogel leicht übersieht oder allenfalls versehentlich aufschreckt.

 

Aber wie machen Schnepfen bei der Balz mit ihrem Tarngefieder im schummrigen Dämmerlicht auf sich aufmerksam? Waldschnepfen fahren bei der Balz zweigleisig: Einmal in der Luft mit charakteristischen Rufen und dann am Boden, bei der die weißen Spitzen der Schwanzfedern zum Einsatz kommen. Wissenschaftler haben diese Federn genau unter die Lupe genommen und verglichen: Nur Waldschnepfenfedern sind in der Lage, über die Hälfte des einfallenden Lichtes zurückzuwerfen. Das ist ein Drittel mehr Lichtreflexion als bei allen bisher geprüften weißen Federn und damit ein Rekord: So viel Licht reflektiert keine andere Vogelfeder. Selbst sehr weiße Arten wie die Raubseeschwalbe, Schneeeule oder das Alpenschneehuhn verweist die Schnepfe auf nachgeordnete Ränge. Erreicht wird die Reflexion des Restlichtes durch die Verdickung und eine spezielle Winkelanordnung der Federästchen sowie mit Lufteinschlüssen im Keratin, die zusammen das einfallende dürftige Dämmerlicht wie Katzenaugen streuen und zurückwerfen. Somit kann eine Schnepfe auch mit Leuchtsignalen ihrer Schwanzfedern in der Dämmerung und nachts kommunizieren, aber nur wenn diese gespreizt angehoben oder im Flug präsentiert werden. Sonst bleibt man besser getarnt am Boden versteckt und unentdeckt.

 

Dr. Stefan Bosch

 

 

Waldschnepfe mit gespreiztem Schwanz und Schwanzfeder im Detail